Heute möchte ich dir einfach kurz meine Gedanken mitteilen. Wir erleben eine Zeit voller Gegensätze und Veränderungen. Einerseits scheint sie still zu stehen und anderseits jagt eine Information die nächste und ich bin ständig aufgefordert, mich abzugrenzen, zurückzuziehen, still zu werden.

Was sagst du? Manche lernen es wohl nie?

Ach ich weiss nicht. Mich beschäftigen Themen. Mal dies, mal das. Und was mir auffällt, ist die allgemeine Befindlichkeit, die sich wandelt. Gefühle kommen mehr ans Licht. Das freut mich, Achtsamkeit darf keimen, Berührungen sind da. Biete ich ihnen Zeit und Raum, kann ich sie wahrnehmen. Manchmal freudig oder erfüllend, manchmal auch schmerzlich.

Hör zu:

Die Wachsblume meiner Schwester schiesst aus. Heute morgen hab ich’s entdeckt und das hat mich mit grosser Freude erfüllt. Diese Pflanze hatte durch den Umzug gelitten, viele Blätter verloren, was zu kahlen Stengeln führte. Doch jetzt spriessen ganz kleine Spitzen der neuen Blätter.

Ich bin berührt.

Gestern Morgen habe ich meine Freundin begrüsst. Sie blieb in der Türe stehen, ich wartete im empfohlenen Abstand. Da sah ich ihr trauriges Gesicht und fragte nach. Tränen schossen ihr in die Augen ... Das hat mich sehr berührt.

Eine SMS von Übersee mit vielen Grüssen, warmen Worten der Freundschaft, spürbare Nähe über eine grosse Distanz ... auch berührend.

Stimmt, es gibt Tränen der Freude oder des Schmerzes: beides ist Berührung.

Um zu überleben sind wir auf Berührung angewiesen. Da gibt es Studien, die belegen, dass Frühchen mehr an Gewicht zulegen, wenn sie massiert werden. Der Psychologe Martin Grunwald sagte: ‚Fühlen und Tasten ist viel wichtiger für unser Überleben als Sehen, Hören, Riechen und Schmecken.

Kuscheln reduziert Stress und wirkt entspannend. Massagen lösen Glücksgefühle aus. ‚Leute die häufiger umarmt wurden, bekamen seltener Erkältungen, als die Studienteilnehmer, die seltener umarmt wurden. (Carnegie Mellon University, Pittsburgh 2014)

Was denkst du bringt uns die momentane Situation des körperlichen Abstand-nehmens? Wenn die körperliche Berührung weniger wird, könnten wir vielleicht die gefühlsmässige Berührung etwas ausbauen? Die Wahrnehmung trainieren. Etwas mehr wagen. Einander zuhören ...

Weißt du, was mir gerade durch den Kopf schiesst? In unserer Zeit kann bereits die kleinste Berührung ein sexueller Übergriff bedeuten. Ich möchte Übergriffe nicht verharmlosen oder beschönigen, finde sie unerhört und zutiefst verletzend. Doch wo sind wir bloss gelandet? Haben wir verlernt, uns auf natürliche und aufbauende Art zu berühren?

„Wir haben die Unschuld verloren“, sagst du. Hm, das hat schon was.

Die Hintergedanken, das Egoistische, das Unangemessene, Überreagierende, Übergriffige ... etc. Wo gehört das denn hin?

Oh, jetzt kommt einer deiner Vorträge. Verschone mich. Ich sehe das genauso wie du. Es ist unser inneres Kind, das wir vernachlässigt haben. Unterdrückte, vernachlässigte und verdrängte Kindergefühle, die sich auf ungesunde Weise Luft machen. Was haben wir bloss für ein künstliches Leben kultiviert!

Kinder haben ein gutes Gespür für das Natürliche, das Unverdorbene und Berührende. Ein Kind fühlt und drückt sich aus, ganz ehrlich und direkt. Wenn jemand ein kindliches Gefühl wegdrückt und nicht wahrnehmen will, dann sind es die Erwachsenen. Weil es unbequem ist, keine Zeit dafür oder unangebracht, nicht stimmig oder übertrieben. Aber Gefühle lassen sich nicht ohne Folgen wegdrücken.

Wohin haben wir sie denn gepackt, unsere kindlichen Gefühle? Können wir darüber reden, mit unseren Liebsten, in der Wirtschaft, an der Arbeit? Werden sie anerkannt oder gleich als „daneben, nicht richtig, unwichtig, krank, schwach ...“abgeschossen?

Und ich selber? Höre ich auf mein Gefühl, nehme ich es wichtig?

Weißt du, in diesem Zusammenhang stelle ich mir Fragen zu Corona:

  • Ist es nicht bezeichnend, dass Kinder weniger gefährdet sind an dem Coronavirus zu erkranken?
  • Warum ist es so schwierig im selben Haushalt über längere Zeit mit Kindern auf engem Raum zu leben?
  • Woran erinnern uns Kinder?
  • Für wen leben auffällige Kinder ihre Unruhe und Unbequemlichkeit?
  • Was ist das Beglückende am Grosseltern-Sein?

Das innere Kind, welches in der modernen Psychologie in den letzten Jahren ein Begriff wurde, will in jedem von uns Erwachsenen seinen Raum. Es will gesehen, gehört und gefühlt werden. Denn nur weil ich bereits über 30, 40, 50 oder älter bin, sind meine kindlichen Gefühle und Bedürfnisse nicht einfach weg. Sie zeigen sich über mein Berührtsein.

Du wirst gerufen? Okay, ich danke dir, dass du mir zugehört hast und mir diese Zeit gegeben hast.

DU kannst dein inneres Kind trösten und stillen, wenn es nach dir ruft, das weiss ich und ich wünsche mir das für uns alle. Ganz nach dem Motto: Noch nicht immer aber IMMER ÖFTER.

Herzlich und für dich persönlich

Edith

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