"Gestern hatte ich ein Gefühl in mir, das ich als eine Mischung von Frieden, Liebe und Zugehörigkeit erlebte. Es war wirklich sehr erfüllend."

„Das tönt ziemlich kitschig!“, sagst du etwas spöttisch am Anfang unseres Settings, verdrehst angewidert deine Augen und bringst mich zum Lachen.

„Ja warum denn nicht? Ich hatte schon immer einen Hang zu Kitsch!“

Das hingegen ärgert dich. Ich fand wohl gleich zu Beginn einen Punkt, der dich reizt. Noch bist du mir ein Rätsel, interessiert höre ich zu:

„Kitsch ist Zeitverschwendung, unechtes Zeugs. Eingebildete Hochgefühle, zurechtgeredete Wirklichkeit. Wer ist schon so einfach gestrickt, denkt oberflächlich und beschönigt die Dinge und freut sich über wertlosen Kitsch? Genauso dieses ewige Geschwätz über das positive Denken, Sein im Moment etc. Das Leben ist viel komplexer als man es sich erschaffen möchte. Die Realität ist hart und gnadenlos.“

„Aha. Ja dann sei es so.“

Du bleibst stumm, es kocht in dir. Du hast deine Antworten, sie sind unverrückbar. Doch selbst wenn du dein Statement mit einer erstaunlichen Vehemenz vertrittst, spüre ich eine Sehnsucht hinter deinen Worten.

Ich wage einen Versuch:

„Du magst es nicht, wenn andere einfach denken? Du magst es nicht, wenn andere sich die Welt zurechtrücken, damit es ihnen wohl ist? Magst du es lieber kompliziert, schwierig und komplex?“

So sei es nicht ganz auf den Punkt gebracht. Denn so wie du die Dinge siehst, SEIEN sie kompliziert, schwierig und komplex. Auch ohne dein Dazutun.

Das könne durchaus sein, versuche ich einzuwenden. Was von Aussen kommt, können wir nicht wirklich beeinflussen. Wir müssen es anerkennen, wie es ist. Doch die innere Freiheit lässt uns eine Wahl im Umgang mit diesen äusseren Störfaktoren. Und da wähle ich wenn immer möglich einen einfachen Weg.

Denn mich macht es glücklich, wenn ich sehe, dass es einen Ausgang, die andere Möglichkeit oder etwas zu lachen gibt und ich zurücklassen kann, was ich nicht brauche.

Und ich erzähle dir die Geschichte von meinem Olivenbaum, der Olive und der Krähe.

Unbeweglich lesend lag ich auf dem Liegestuhl, unweit meiner Blumentöpfe, die meinen Balkongarten bilden. Da, ein Rascheln, kurz nur, und als ich von meinem Buch aufblickte, sah ich die Krähe im Olivenbaum. Zielsicher schnappte sie sich die einzige Olive am Baum, setzte sich auf das Balkongeländer, schaute sich um und flog mit der Olive im Schnabel ins Weite.

Ich fühlte mich glücklich, weil ich Zeuge dieses einzigartigen Momentes war. Denn mir stockte der Atem ... ich war hin und weg ... so nah und so beeindruckend!

Du ärgerst dich, dass die einzige Olive an meinem Olivenbaum nun weg ist und beginnst zu schimpfen: „ ... immer diese Vögel, frech und vorwitzig. Es gibt sie immer und überall, nicht nur in der Tierwelt, immer wenn man ...“

Schnell unterbreche ich dich und sage lachend: „Was hätte ich denn mit dieser einen Olive tun wollen? So wurde sie für den Vogel zum Leckerbissen!“

Du schaust mich an, zuerst entgeistert, irritiert, doch dann erhellt sich dein Gesicht, du lachst und gibst dich geschlagen: „So hab ich es noch gar nicht angeschaut.“

Und dann sprechen wir über deinen Ärger, deine Launen, dein täglicher Stress, deinen Hang zu  Depressionen, deine Dramas in deinem Leben.

Es gab ein langes Gespräch und es wird weiter gehen. Denn so wie ich die Welt mir einfach denke, so denkst du sie kompliziert. Und deswegen gehen wir deine  Kurven, Unterführungen und Umwege durch, in der Hoffnung, dass sich Abkürzungen ergeben und unerhoffte Lichtungen, weil sich der Himmel über dir beginnt zu klären.

Wir suchen nach Sinn und Wert. Nichts war umsonst, jeder deiner Schritte hat dich geführt und du kannst aus allem etwas Lohnendes holen. Doch dafür braucht es Zeit und etwas Übung.

Weißt du, es ist nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Astronauten berichten, dass sich ihr ganzes Leben veränderte, als sie zum ersten Mal vom All auf die Erdkugel schauten. Ihre Werte veränderten sich, Sinn und Wege zeigten sich neu, die Orientierung wurde eine andere. Das Leben wurde auf einmal sehr viel einfacher und klarer durch diese Sicht aufs Ganze.

Probier es aus. Mach deinen Blick weit und du wirst dein Problem in einem neuen Licht sehen. Jede Situation hat Ursachen, die du sehen kannst, wenn du von dir absiehst und das Ganze in Betracht ziehst.

Ja, und wer weiss, vielleicht findest du plötzlich Gefallen an solch kitschigen Gefühlen wie Frieden, Liebe und Zugehörigkeit.

Herzlich und für dich persönlich

Edith

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