Trete ich einen Schritt zurück, dann erfasst mich ein tiefes Seufzen. ENDLICH.
Ein Raunen geht durch die Welt. Ein Stöhnen, Jammern und Klagen. Kein leichter Weg, es tut weh.
Altes, Gewohntes, Festgefahrenes wird in Frage gestellt. Vieles wird sichtbar, für uns alle spürbar.
Die Welt ist im Umbruch. Berührung und Betroffenheit sind da.
„Atmen Sie mit! Gut so, Sie schaffen das, einfach mitgehen, ausatmen. Weiter so, einfach mitgehen!“
Ich erinnere mich gut an die Geburt meines ersten Kindes. Ich hatte Angst davor, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie die Grösse eines Kindes aus mir herauskommen kann. Und doch wusste ich, dass es machbar ist.
„Es tut weh“, sagte mir meine Mutter, „doch diesen Schmerz vergisst du, sobald das Kind da ist und du es anschauen kannst, in den Armen hältst.“
Genau so war es. Ich glaubte, es würde mich zerreissen und die Hebamme unterstützte mich bei jeder Wehe: „Atmen Sie, einfach mitgehen, Sie schaffen das!“
Ich kann nicht sagen, dass ich es geniessen konnte ;-), doch ich habe den Unterschied deutlich gemerkt, ob ich mit der Wehe ging oder ob ich mich dagegen wehrte. Ich konnte spüren, dass es kein zurück mehr gibt und ich wusste, es geht um alles. Und ich habe einfach durch jede Wehe hindurch geatmet.
Was im Moment in unserer Gegenwart passiert, erinnert mich an diese Situation.
Die Welt macht gerade eine Geburt durch. Es geht um Leben und Tod. Wir sind alle betroffen und werden in diese Geburt hineingezwungen. Noch mehr Wachstum geht nicht, es heisst raus aus dem Schutz einer (scheinbar) heilen Welt, vorwärts, das Mass ist voll.
Wir können die Wehen nicht aufhalten, Widerstand bremst den Prozess. Es folgt Wehe auf Wehe... und es kommen wohl noch mehr! Sie treiben die Geburt voran. Sie fordern mich auf, mitzugehen und den Prozess zu beatmen. Denn Sauerstoffmangel hat seine Auswirkung auf Mutter und Kind.
Ähm... nun mal ehrlich: die Welt neu gebären ... wie geht das?
Wie können wir gemeinsam unser Kind (das Neue) gesund zur Welt bringen?
Das Gleichgewicht zwischen geben und nehmen, das rechte Mass von Schutz und Zumutung finden? Was heisst mitgehen, was heisst dagegen stemmen?
Der Geburtskanal ist eng, das schreit nach Öffnung, denn das Kind ist gross, sein Herz klopft, es bewegt sich und will leben: „Mitgehen, atmen, aushalten und dran glauben – Erholung – und wieder mitgehen, atmen, aushalten und dran glauben...“
Es ist nicht einfach unsere Zeit auszuhalten, Gelassenheit zu finden, sich zu orientieren, dran zu glauben und mitzugehen. Wehen kommen und gehen, eine Wehe jagt die andere. So viel Unstimmigkeit, Verwirrung, Orientierungslosigkeit, Systembezogenes, Sachzwang, Irrwege, Falschmeldungen, Schmerz und Masken etc.
Was soll man dazu bloss sagen?
Freilich ein schwacher Trost, und doch erachte ich es als wichtig, Demut zu fühlen:
Das Leiden und Durchhalten jedes einzelnen Menschen ist ein wertvoller Teil im Prozess. DANKE!! Auch wenn ich es mir so nicht vorgestellt habe und auch niemandem wünsche.
Denn was auf der grossen Bühne im Gange ist, findet zeitgleich in uns statt. Wir gebären uns neu. Wir sind längst nicht mehr die, welche wir noch anfangs dieses Jahres waren. Die Monate haben uns verändert.
Wir alle lernen dazu, Tag für Tag, ob wir wollen oder nicht und den Inhalt der Lehre bestimmen wir selber, jede(r) für sich.
Ich kann wählen zwischen Augen reiben, Klarheit oder Radikalität, zwischen erwachen, erwachsen werden oder kindlich bleiben, zwischen Energie gewinnen oder Kräfteverschleiss, Selbstverantwortung und gesundem Menschenverstand oder blinde Angst... Wir haben eine innere Freiheit und diese gilt es zu bewahren und achtsam und selbstverantwortlich mit ihr umzugehen. Und ich erinnere mich: Die Freiheit wird nur durch die Verantwortung für das Ganze beschnitten.
Um mir und meinem Gegenüber diese Freiheit zu gewähren, braucht es Mut und viel Vertrauen. Nicht immer haben wir dies zur Verfügung, denn wir sind geprägt durch unsere Erfahrungen und erleben Momente, wo wir die Luft anhalten müssen, um zu überleben, wo wir getadelt oder bestraft werden, weil wir zu geräuschvoll atmen oder wo wir uns ohnmächtig fühlen, hypern, Schmerz erfahren oder miterleben und hilflos mitansehen, wenn jemand nach Luft schnappt.
Und trotz alledem kommen wir nicht drum herum weiter zu atmen, damit wir nicht untergehen im ganzen Schlamassel dieser Zeit! Atem ist Leben ...
Bitte nimm dir Zeit, wenigstens zwischen den Wehen zur Ruhe zu kommen, Stille zu finden und Erholung!
Erlaube es dir, dich aufzubauen und dich gesund zu ernähren, genug zu schlafen, dich zu bewegen, die Kraft der Natur zu spüren!
Erlaubt euch... füreinander da zu sein, einander Nähe zu geben, einander zu berühren. ❤ ...
... bewusst LUFT HOLEN - das hält uns gesund und macht uns stark.
Denn die nächste Wehe kommt bestimmt.
Ich bin Teil im Prozess dieser Geburt und bringe gleichzeitig mein eigenes Werden auf den Weg ... es ist WICHTIG. Je mehr Bewusstsein, umso fassbarer wird das Kind.
Und dieses Kind, das steht für mich ausser Zweifel, soll ein Kind der LIEBE sein. Trotz allem ... oder genau deshalb!
Wie sonst wäre ich bereit, es durch die kurzen Nächte, das Zahnen und die Krämpfe, durch all die Kinderkrankheiten zu begleiten? Wie könnte ich es aushalten, wenn es zwischendurch auf Abwege gerät und ich es immer wieder auf den richtigen Weg zurückholen muss ...? Wenn nicht durch LIEBE?
Ach, es ist ein langes Kapitel... denn wir sind ja erst beim Gebären! ❤ ... also: tief durchatmen, immer wieder ...
Herzlich und für dich persoenlich
Edith