Die Zeit nach Corona – gibt es die überhaupt?
Wenn ich so in die Runde schaue, kann ich es mir nur schlecht vorstellen.
Und ich tu mich auch nach wie vor schwer mit dem Gedanken, dass es wieder so werden soll, wie es vorher war.
Neben Corona gibt es ja auch noch den Herbst. Mit seinen bunten und wunderschönen Farben. Eine Zeit des Feuers und der Hoch-Zeit. Aber auch eine Zeit des Übergangs.
Es heisst loslassen, die Natur zieht sich mehr und mehr zurück. Es wird kahler, kälter, leerer.
Genau so etwas wünschte ich mir im Frühling während des Lockdowns. Dass es eine Zeit der Stille wäre, des Rückzugs und der Besinnung. Um danach geläutert und schlauer aus dieser Krise herauszukommen.
Na ja, ein frommer Wunsch.
Wirklich? Nur ein Wunschtraum?
Obwohl mich das ganze Geschrei um Zahlen und Fakten, um Masken und Massnahmen, um Zustände und Missstände, um Rechte und ums rechthaben ständig ablenkt und stört, gibt es diese innere Führung die mir genau dies sagt: es ist eine Zeit des Übergangs. Altes hat ausgedient, Neues will kommen!
Natürlich macht es mich betroffen, wenn ich höre, dass alte Menschen alleine sterben, dass Mütter ohne Väter ihr Kind zur Welt bringen, wenn Angehörige ihre Liebsten nicht schrankenlos besuchen dürfen, wenn Kleinkinder die maskierten Gesichter nicht mehr richtig deuten können, wenn Stellen verloren gehen, Armut entsteht, Existenzen bedroht sind etc.
Ebenso brachte mich der kürzliche Anstieg der Infizierten in meinem nächsten Umfeld zum Innehalten und Überdenken der Situation.
Es gibt da aber zwei Grundsätze, die mich in meiner Arbeit, wenn es um Veränderungen und Krisen geht, begleiten:
- Widerstand minimieren, Energien bündeln
- Prozesse brauchen Zeit
Corona hat viel Widerstand auf den Plan gerufen und manchmal rutscht die Diskussion ab und weg vom eigentlichen Thema, weil es nur darum geht, gegen etwas zu kämpfen. Dieses Etwas hat dann mehr mit dem persönlichen Kampf zu tun, als mit einer Sache.
Ich mag es grundsätzlich lieber, wenn für etwas gekämpft werden kann.
Denn: „Gegen das Alte“ ist was anderes als „für das Neue“.
Es gibt diese zwei Herangehensweisen: ich gehe weg von ... oder ich gehe hin zu!
Die zweite Strategie kann um ein Vielfaches schwieriger sein, weil zuerst definiert werden muss wie dieses „Hin zu“ überhaupt aussehen soll.
Und genau da möchte ich meine Energie und Aufmerksamkeit reingeben, in die Gestaltung des Neuen. Ich möchte nicht dauernd abgelenkt werden, will auch nicht Balast mit mir rumschleppen oder ständig hängenbleiben an all diesen Widersprüchen, die die Diskussion rund um Corona mit sich bringt.
Gar nicht so einfach.
Für mich bedeutet es, dass ich mich wieder distanziere von den Schreckensnachrichten und trotzdem hellhörig bleibe für das Wesentliche.
Dass ich Corona als Virus anerkenne und trotzdem nicht überreagiere.
Dass ich mich weder da noch dort hinziehen lasse, sondern immer genau so entscheide, wie es sich bei mir stimmig anfühlt.
Dass ich mir zwar meine Freiheit lasse und trotzdem die Verantwortung für das Ganze mittrage.
Dass ich meinem gesunden Menschenverstand Raum gebe und trotzdem manchmal Kompromisse eingehe.
Es gibt eine Haltung sowohl – als auch. Sie ist nicht neu. Es gibt eine Haltung des Miteinander im Gespräch bleiben, auch nicht neu.
Einander tolerieren in der Verschiedenheit von Ansicht und Meinung ist kein Kinderspiel – und doch beherrschen gerade Kinder dies viel besser als wir Erwachsenen.
Ich wünsche mir eine friedliche Welt. Eine Welt wo alles Platz hat. Sowohl ein Donald Trump als auch ein Ghandi, sowohl ein Auto als auch öffentliche Verkehrsmittel, sowohl Fussball als auch Musik ... etc. Nicht Ideen empfinde ich als Bedrohung, sondern die machtgierige, egoistische oder rechthaberische Durchsetzung dieser. Solange ein Gespräch stattfinden kann, ist die Möglichkeit zum Konsens gegeben.
Das bedingt gewisser Werte: Toleranz, Anerkennung, Achtung, Gespräch, Verständnis, Demut, Liebe, Respekt zum Beispiel.
(Und gleichzeitig Ressourcenorientierung, Nachhaltigkeit, Einbezug der Natur, Schutz und Abgrenzung, Ethik, umweltschonende Visionen, Achtung vor dem Leben ...)
Das können wir unseren Kindern beibringen, indem wir es vorleben als Eltern, Onkel, Tanten, Lehrpersonen, PolitikerInnen, Angestellte, UnternehmerInnen... im innen wie im aussen, mit mir und mit dir ... und unsere Überzeugungen immer wieder neu überdenken.
Wir sind in einer Zeit des Übergangs. Das Alte ist zum Auslaufmodell gewachsen, das Neue ist im Kommen. Und das braucht Zeit. Wir können sie nutzen.
Denn noch fehlt es an überzeugendem Saatgut.
Herzlich und für dich persoenlich
Edith